Im Gespräch mit: Hans-Jochen Vogel
Eigentlich wäre er gar nicht zu einem 30jährigen Jubiläum gekommen. Eigentlich. Doch dass er bei dieser Gelegenheit seinen alten Freund und ehemaligen Ministerkollegen Georg Leber am Königssee besuchen konnte und in der Festrede an einen noch älteren Freund und mutigen Sozialdemokraten erinnern durfte, machten ihm die Entscheidung leicht, die Einladung des Ortsvorsitzenden von Piding, Roman Niederberger, anzunehmen.
Hans-Jochen Vogel sprach über Josef Felder, der 1933 als jüngster SPD-Abgeordneter im Reichstag gegen Hitlers Ermächtigungsgesetz stimmte. Nach dem Krieg baute Felder die lokale Zeitung im Berchtesgadener Land auf und war Redakteur des SPD Parteiorgans „Vorwärts“. Josef Felder starb im Oktober 2000 im Alter von 100 Jahren.
Der Seeheimer Kreis
Vor der Veranstaltung fand Hans-Jochen Vogel noch etwas Zeit, sich mit der roten traun zu unterhalten. Ein ausführliches Interview war aus Zeitgründen leider nicht möglich. Deshalb beschränkte sich die Unterhaltung anfangs auf die Zeit seiner Bundestagszugehörigkeit. Auf die Zeit, als Willy Brandt Kanzler war. Eine Zeit, als die SPD links stand und Hans-Jochen Vogel den Seeheimer Kreis mitbegründete, so steht es zumindest in einer Biographie von Willy Brandt. Schmunzelnd bestätigte Hans-Jochen, dass sein Name zwangsläufig des Öfteren in dem Buch erwähnt ist.
Es war 1973/1974, als sich die Gründungsmitglieder zum Meinungsaustausch erstmals trafen. Zuerst in Lahnstein, später in Seeheim an der Bergstraße. Man traf sich in einer Bildungsstätte, wo Tagungsräume zur Verfügung standen. Der Kreis wollte ein innerparteiliches Gegengewicht zu dem so genannten Leverkusener Kreis bilden, der die sozialdemokratische Politik und insbesondere die Arbeit der Bundestagsfraktion schon längere Zeit deutlich beeinflusste. Die Ursachen der seinerzeitigen Billigung der vom Leverkusener Kreis verfolgten Tendenzen sieht Hans-Jochen Vogel in den ideologischen Vorstellungen, die von der so genannten 68er Bewegung ausgingen. Diese hatten in den späten sechziger und den frühen siebziger Jahren bereits in München zu schweren innerparteilichen Auseinandersetzungen geführt.
Der Seeheimer Kreis wollte die soziale Markt-wirtschaft nicht durch umfassende Verstaatlichungen verändern. Bei seinen Stellungnahmen und Vorschlägen stützte er sich auf die entsprechenden Passagen des Godesberger Programms. Insbesondere auf die dort enthaltene Formel „Wettbewerb so weit wie möglich, Planung so weit wie nötig". Die etwa 30 Mitglieder, die zu Anfang dem Seeheimer Kreis angehörten, fühlten sich auch dem Sozialstaatsprinzip verpflichtet. So traten sie für die Tarifautonomie und auch für den Ausbau der Mitbestimmung ein. Andere Probleme, über die auch im Seeheimer Kreis gestritten wurde, waren der NATO-Doppelbeschluss und der Ausstieg aus der Atomenergie.
Reformdiskussion
Wie wäre er denn als Fraktionsvorsitzender mit den sechs „Abweichlern" umgegangen? Er findet den Begriff Abweichler unpassend. Man muss in solchen Fällen in Einzelgesprächen deutlich machen, was auf dem Spiel steht. Etwa die Fortsetzung der sozialdemokratischen Regierungsverantwortung, wenn der Bundeskanzler für seine Vorlagen keine eigenen Mehrheiten mehr auf die Beine bringt. Das muss jeder einzelne Abgeordnete dann sorgfältig gegeneinander abwägen.
Für die Jugend
Für die Jugend hatte Hans-Jochen Vogel noch einen Rat parat. Er forderte sie auf, an der Gestaltung der Gesellschaft aktiv mitzuwirken, sich zu engagieren, in Initiativen, Interessengruppen oder Parteien. Für die Umwelt, seine Gesellschaft, seine Zukunft - sich dafür einzusetzen, das legt er jedem jungen Menschen ans Herz. Im Gegensatz zu ihm hätten die jungen Menschen noch Jahrzehnte dieser Gesellschaft vor sich und es wäre schade, wenn sie die Gestaltung anderen überlassen würden.
Ob er sich damals als Amtsgerichtsrat in Traunstein mit dem SPD-Ortsverein in Verbindung gesetzt hätte, war die letzte Frage. Damals - so antwortete er - habe man die Ausübung richterlicher Funktionen mit einer aktiven Tätigkeit in einer politischen Partei noch für ziemlich unvereinbar gehalten. Außerdem sei er nur neun Monate als Amtsgerichtsrat tätig gewesen, und zwar von August 1954 bis April 1955. Auch sei sein Wohnsitz Bergen gewesen.
Eigentlich schade für den Ortsverein Traunstein.
(Christian Stoib, 2004)